WELT ONLINE: Die afghanische Familie des Opfers lebt seit 13 Jahren in Hamburg. Wie die blutige Tat nun gezeigt hat, sind sie nicht in der deutschen Kultur angekommen. Was ist da schief gelaufen?
Serap Çileli: Die Familie des Opfers scheint in den Vorstellungen einer islamisch geprägten Stammesgesellschaft zu leben. Die Familien importieren quasi ihre Stammesrechte mit nach Deutschland, wenn sie hierher ziehen. Nach ihrer Auffassung leben sie in Deutschland, einem christlich geprägten Land, in der Fremde. Sie empfinden dieses Land nicht nur als fremd, sondern auch als feindlich, dementsprechend haben sie seit Jahrzehnten versucht, ihre mitgebrachten patriarchalischen Familienstrukturen hierzulande zu konservieren und sich von der Mehrheitsgesellschaft abzuschotten.
WELT ONLINE: Diese Familien wollen also gar nicht integriert werden?
Çileli: Nein, mehr noch: Das Leben in der Fremde führt dazu, dass die Herkunftskultur nicht nur konserviert, sondern umso frommer gelebt und ausgelegt wird, quasi als Schutz vor der Assimilierung mit der westlichen Gesellschaft. In diesen Parallelgesellschaften können sie völlig ungestört von den Deutschen die Erziehung ihrer Kinder auf ihre eigenen religiösen Werte ausrichten. Hierbei handelt es sich meiner Auffassung nach oft nicht um Erziehung, sondern um Züchtigung, da der Grundgedanke nicht auf Freiheit beruht, sondern auf Gehorsam. Schließlich droht demjenigen, der sich den Familiengeboten widersetzt, Gewalt. Kinder werden gefügig gemacht, mundtot gemacht, damit sie wie hilflose Schafe immer den Schutz ihrer Familie suchen.
WELT ONLINE: Am meisten scheinen die Töchter unter diesen Strukturen zu leiden...
Çileli: Ja. Als Motiv für die Tat dient ein durch die Religion legitimierte Ehrbegriff, der Frauen zum Besitz der Familie macht. Es gibt eine ganze Reihe von Suren, die ganz klar formulieren, dass sich die Frau dem Mann unterzuordnen hat. Jetzt werden Gutmenschen sagen, entsprechende Stellen finde man auch in der Bibel. Das stimmt, allerdings hat im Christentum eine Aufklärung stattgefunden, sodass Politik und Religion getrennt sind. Diese Trennung gibt es im Islam nicht. Ehebruch wird im Koran mit Steinigung bestraft. Heute werden keine Steine geworfen, stattdessen wird zu gestochen oder geschossen.
WELT ONLINE: Wodurch wird diese Gewalt legitimiert?
Çileli: Durch den Islam. Es gibt zahlreiche Stellen im Koran, die deutlich machen, dass Gewalt nicht nur legitimiert wird, sondern geboten wird – um „vom Glauben Abtrünnigen“ das Fürchten zu lehren.
WELT ONLINE: Wie schätzen sie die Verbreitung der „Ehrenmord“-Problematik ein. Handelt es sich hier um Einzelfälle?
Çileli: Bei den Morden handelt es sich nicht um Einzelfälle. Laut einer Studie des BKA aus dem Jahr 2006 wurden in Deutschland vom 1. Januar 1996 bis 18. Juli 2005 insgesamt 55 solcher Morde und Mordversuche mit insgesamt 70 Opfern verübt. 48 der Opfer waren weiblich, 22 männlich. 36 Frauen und zwölf Männer kamen zu Tode. Diese Zahlen bilden lediglich die Spitze des Eisberges. Auch wenn das Thema in den letzten Jahren vermehrt auftaucht, so ist es in vielen muslimischen Familien präsent. Die Tatsache, dass erst einzelne Frauen ihr Leben opfern mussten, beweist lediglich, wie wenige Frauen sich trauen diesen Schritt zu wagen – ermutigt durch die öffentliche Debatte und durch das Auftreten selbstbewusster Mitstreiterinnen.
WELT ONLINE: Kann der Staat Ehrenmorde verhindern?
Çileli: Der Staat ist nicht dafür ausgerüstet, die sie zu verhindern. Was er jedoch sehr wohl tun kann, ist die Ehefrauen/Töchter vor der Familie zu schützen. Hierzu gehören ein flächendeckender Ausbau an kulturspezifischer Beratung und Betreuung/Kriseneinrichtungen für Muslima, wo die Frauen Unterstützung und Rechtsbeistand finden.
WELT ONLINE: Braucht es Ihrer Meinung nach neue Gesetzte, um diese Strukturen aufzubrechen?
Çileli: Ja, weil diese Familienoberhäupter nur eine klare, harte Linie verstehen. Fatal ist etwa, dass Zwangsverheiratung noch immer kein eigener Straftatbestand ist. Auch bin ich für die Einführung einer Kindergartenpflicht ab drei Jahren, bei dessen Verstoß Sanktionen etwa durch Kürzungen von Sozialleistungen erfolgen. Wenn man den Leuten ans Geld geht, sitzen sie ganz schnell im Integrationskurs oder in der Elternsprechstunde. Der deutsche Staat braucht eine harte Hand, um muslimischen Autoritäten deutlich zu machen, dass mitgebrachte Stammesrechte hier nicht gelten.
WELT ONLINE: Sie greifen in ihrem Buch auch den moralischen Relativismus der deutschen Gesellschaft an. Warum tun wir uns so schwer damit, eine nüchternde Bestandsaufnahme des Integrations-Dilemmas zu ziehen?
Çileli: Die Deutschen sind feige. Sie tun sich schwer damit, Grenzen zu ziehen und für ihre eigene Identität einzustehen. Das liegt sicherlich an der leidvollen Geschichte des Landes, das sich einst einem faschistischen Diktator anschloss. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Deutschen müssen mutiger sein. Sie dürfen nicht den Fehler begehen, jenen gegenüber tolerant zu sein, deren größter Feind die Freiheit ist. Dann schauen sie nämlich wieder weg – und machen sich schuldig.
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